Kapitel 15 Der Sinn des Lebens

Die Frage nach dem eigentlichen Ziel ist die tiefgreifendste und zugleich schwierigste. Daher wird nun versucht, dieses so wissenschaftlich wie möglich herzuleiten. Moral soll hier keine Rolle spielen, da sie kulturabhängig und meist auf religiös verankerte Axiome fundiert ist.

15.1 Feststellungen

Zunächst muss man feststellen, dass es keinen göttlichen Grund für die Existenz von Lebewesen gibt und auch kein höheres Ziel, wie z. B. das Leben selbst oder das Wohlbefinden im engeren Sinne. Man muss verstehen, dass wir lediglich die zufällige Folge einer physikalischen Kettenreaktion sind. Angefangen beim Urknall, der zwar noch ein Rätsel darstellt, aber hier irrelevant ist,15 über die Formung unseres Planeten, bis hin zur Evolution des Menschen.

Die Existenz eines Geistes kann ebenfalls ausgeschlossen werden, sein Begriff existiert aus demselben Grund wie griechische Götter. Denn obwohl biologische Prozesse wie die Zellteilung oder unser Nervensystem aufgrund der Komplexität noch nicht bis ins letzte Detail erforscht sind, spricht alles dafür, dass sogar unser (menschliches) Verhalten, mitsamt unseren bewussten und unbewussten Denkprozessen inkl. der Selbstreflexionen, in unserem physikalischen Modell erklärbar ist und beispielsweise durch eine Turing-Maschine reproduziert werden könnte. Beziehungsweise präziser ausgedrückt: Es spricht bisher absolut nichts dagegen, denn alle jemals beobachteten oder aus der Vergangenheit rekonstruierten Ereignisse passen zusammen, ohne dass eine unbekannte Macht einmal hätte eingreifen müssen.

Da jedoch eine gewisse Unsicherheit vorliegt, vor allem bei der Modellierung von Quanteneffekten und biologischen Prozessen, dürfen wir uns nicht anmaßen, dort grob fahrlässig eingreifen zu dürfen.

15.2 Zielbestimmung

Nachdem man einsehen muss, dass es keinen Gott und keine andere höhere Macht gibt, welche mit uns ein Ziel verfolgen könnte, und auch die Existenz eines Geistes nicht erforderlich ist, um unser Dasein und Handeln zu erklären, bleibt uns nicht mehr viel übrig, an das wir uns festhalten können. Aus Sicht des erkannten und angenommenen Weltbildes können wir machen, was wir wollen. Aufgrund der erwähnten Unsicherheit müssen wir aber vorsichtig sein, also gehen wir von der grundlegensten sicheren Beobachtung aus, die wir machen können.

Durch das Studium der Entwicklung aller lebenden Wesen können wir relativ sicher eine Gemeinsamkeit feststellen, welche man zum Ziel bzw. Recht erheben kann: die Fortpflanzung seiner selbst bzw. den Erhalt seiner Spezies. Welches von beiden das jeweils andere impliziert, spielt dabei keine Rolle. Mit dieser Grundlage kann man alle sozialen Strukturen erklären (nicht nur menschliche). Der Umgang mit anderen Wesen und der Umwelt, insbesondere seiner Nachkommen, erfolgt hierbei zweckdienlich.

Dieser einprogrammierte Zweck ist natürlich wieder nur eine logische Konsequenz der Selektion, aber das einzige, woran wir uns festhalten können. Aufgrund der erwähnten Unsicherheiten sollten wir aber keine der biologischen Entwicklung entgegengesetzten Entscheidungen treffen, also nehmen wir diese Populationserhaltung und -regelung als das allgemeine Ziel von Lebewesen an. Für die Konservativen und Gläubigen unter uns ist diese Ansicht ebenfalls keinesfalls schädlich, da die meisten Glaubenssätze und Moralvorstellungen übergeordnete Notwendigkeiten darstellen, um diesem konstruierten Zweck gerecht zu werden.

Auf dieser Basis können wir nun also bessere (weniger eingeschränkte) Gesetze ausarbeiten, als sie uns durch unser instinktives Verhalten mitgegeben wurden (eine Argumentation zum Sinn von Gesetzen wurde bereits in Abschnitt 8 gegeben). Zwecks Robustheit muss das Ganze möglichst allgemeingültig und systematisch formuliert werden.

Aufgrund der prinzipiell erlaubten Willkür, können wir unter Einhaltung erwähnter Grenzen allen Mitgliedern, die sich an die festgelegten Regeln halten, von aktiver Schädigung befreien und allgemein gegen die Herstellung maximaler Zufriedenheit streben. Je nach genetischer Verwandtheit werden die Rechte auf andere Lebensformen entsprechend übertragen, d. h. insbesondere, dass auch Tiere ein Recht auf ihr Wohlbefinden haben. Ob es erlaubt sein wird sie zu töten, um sie zu verspeisen, hängt von vielen Wichtungsfaktoren ab, welche, wie alles andere auch, mithilfe eines kompetenzgewichtet-demokratischen Wahlsystemes festgelegt werden. Dabei werden von den Mitgliedern möglichst elementare Entscheidungen getroffen und nach oben zu allgemeineren Schlussfolgerungen synthetisiert. Entscheidungen können auf allen Abstraktions-Ebenen getroffen werden, aber je tiefer sie ansetzt, desto höher ist ihr Gewicht. Dies wird im Teil System-Architektur näher erläutert.